Präambel:
Mein letztes größeres literarisches Werk liegt schon eine Weile zurück (1992) und wurde von Erst- und Zweitkorrektor übereinstimmend mit 2 von 15 möglichen Punkten bedacht (Schulnote 5), erwartet daher nicht zu viel… Dennoch, in Kürze, so abwechslungsreich war dieses etwas andere Laufjahr für mich.
Januar: Corona ist noch ganz weit weg, im fernen China. Aber mein Knie ist kaputt, ich schlepp mich 3 Wochen mehr schlecht als recht durch, aber am Ende geh ich zum ersten Mal seit über 20 Jahren zum Sportarzt. Dabei wollte ich doch dieses oder nächstes Jahr endlich mal einen Marathon laufen, schließlich rückt die 50 erschreckend schnell nahe und es bleibt nicht mehr so viel Zeit.
Februar: Die Faszien Rolle hilft ein bisschen, aber viel wichtiger war der Besuch bei den Profis der Laufwelt: neue Laufschuhe, perfekt vermessen, machen Hoffnung, auch wenn sie optisch eher nicht so ansprechend sind. Am Monatsende zwar nur insgesamt 40 km, aber immerhin zweimal 15km fast schmerzfrei.
März: Knie gut, Wetter gut, ein paar extra freie Tage wegen Corona: am Ende meldet die Pulsuhr satte 130km, persönlicher Monatsrekord. Aber wie kann ich aus den 18 km-Trainingsläufen unfassbar lange 42km machen? Das hieße ja ca. 4 Stunden am Stück durchlaufen. Mein Laufbuddy und ich sind uns mal wieder einig, irgendwie sind 42km doch völlig krank und ruinieren die Knochen. Was sind das für Leute, die sich sowas antun?
April: Wärmster April ever, wie schon die letzten 3 Jahre. 70km Mountain-Bike, 70km Jogging inkl. hügeligem Halbmarathon (erst später lerne ich, dass das selektiv heißt). Im Internet lese ich von Corona-Ausgangssperren in halb Europa und Marathon-Spinnern, die 42km im eigenen Garten oder gar auf ihrem Balkon laufen – wie krank ist das denn?
Mai: Das Wetter ist super und 110km Laufkilometer sowie 160km Bike sind ein neuer Rekord. Ein Marathon wäre schon schön, aber noch immer besteht die ungelöste Frage, wie ich von max. 24km im Wohlfühltempo auf 42km kommen könnte. Irgendwie bräuchte ich mal einen Plan, sonst wird es wieder nix.
Mitte/Ende Juni: 3 Monate Home-Office und Corona-Restriktionen heißt leider auch seit 3 Monaten keine Mittagspausenläufe mit den Kollegen, sondern alleine laufen. Kurz bevor mich das einsame Laufen in den Wahnsinn treibt wird, wird der Lock-Down gelockert und ich gehe zum Lauftreff der SG Stern. Während die anderen von Ultra-Trail-Läufen in Schottland und Bergläufen auf die Zugspitze berichten, kann ich bisher nur Halbmarathons vorweisen, mit dem Hinweis, dass mir für einen Marathon seit Jahren die letzte Konsequenz fehlt. Bernd und Olli haben den passenden Tipp: marathonkurs.de, da wird dir geholfen.
Do, 2. Juli, 17:50 Uhr: am Ende eines chaotischen Home-Office-Tages greife ich spontan zum Telefon, rufe bei der marathonkurs.de-Telefonnummer an und frage, ob man bei dem Marathonkurs noch teilnehmen kann, der in 40 Minuten anfängt. Der Trainer sagt ok, ich müsse nur pünktlich um 18:30 da sein. Schnell die Laufsachen anziehen, und im Eiltempo zur Laufwelt. 2 Minuten zu spät, aber der Coach drückt ein Auge zu, und schon geht’s los. Vorstellungsrunde: ein bunter Haufen, Männlein/Weiblein, die allermeisten sind Wiederholungstäter, die schon an vielen Laufkursen von Klaas und seinem Trainer-Team teilgenommen haben. Ja, ein ganzes Trainer-Team, inkl. 2 Co-Trainer und Teamärztin. Weiter geht’s mit persönlichen Zielen, die meisten wissen sehr genau was sie wollen. Ich gebe zum Besten, dass ich nach über 20 Jahren mehr oder weniger ambitionierter Hobby- Läuferei jetzt endlich mal einen Marathon schaffen will, idealerweise ohne tagelangen Muskelkater bzw. kaputter Knochen danach.
Dann noch ein paar Regeln und Organisatorisches, und schon geht’s richtig los mit ersten Koordinations-Übungen und einer abschließenden Laufrunde inkl. Lauf-ABC (kannte ich noch nicht). Es ist schon dunkel, als ich schließlich nach mehr als dreieinhalb Stunden mit reichlich neuen Eindrücken nach Hause komme: die family is not amused…
Am nächsten Tag: flattert per E-Mail der Wochen-Trainingsplan ins Haus: nach einem Ruhetag stehen gleich mal Läufe am Samstag und Sonntag an, ok, das verwundert nicht wirklich, aber am Montag steht ein virtuelles Zirkeltraining@Home auf dem Programm (hatten Bernd und Olli wohl bewusst ausgespart als sie mir den Kurs empfohlen haben)… Egal, ich nehm ́s mit Humor, und bereite mich mental und organisatorisch (Turnmatte, Stuhl, Hanteln, Handtuch, Laptop) vor, sodass es pünktlich losgehen kann auf der Terrasse. Die Kids sind neugierig was da abgeht, lachen und machen Grimassen hinter der Scheibe: Spaß für die ganze Familie. Schonungslos kriege ich aufgezeigt, dass erhebliche Defizite insbesondere bei Oberkörper- und Bauchmuskulatur bestehen. Und auch bei den anschließenden Dehnübungen offenbart sich Optimierungspotential. Klagen hilft nichts, und den Anfängerfehler einer unbedachten WhatsApp-Jammer-Gruppenmitteilung mache ich nicht ein zweites Mal 🙂 (sorry an dieser Stelle).
Jede Woche: gibt es nun einen neuen Trainingsplan mit mehreren Seiten Theorie zum Lesen, Zirkel@Home am Montag, Trainingslauf am Dienstag, Training bei der Laufwelt donnerstags und Läufen am Samstag und/oder Sonntag. Nach ein paar Wochen sind die Fortschritte beim Zirkel bereits sichtbar: fast doppelt so viele Liegestütze und Dips wie am Anfang, deutlich beweglicher beim Dehnen. Aber damit es uns nicht langweilig wird, erhöht das Trainerteam immer mal wieder die Intensität, oder ändert Übungen ab, und holt uns so wieder auf den Boden der Tatsachen zurück….
Der Juli: geht zu Ende und der Tacho zeigt 240 Laufkilometer im Monat, jedoch wird mein geplanter Marathon in Kandel Corona-bedingt abgesagt. Neue Hoffnung schöpfe ich mit Anmeldung zu Marathon-Events in Bregenz und vor allem mit meinem Geheimtipp Bottwartal (<500 Teilnehmer).
August: das Bauchmuskeltraining wird auf ein ganz neues Level angehoben. Gnadenlos präsentiert uns Co-Trainer Achim neue Übungen, die die meisten von uns auf dem falschen Fuß erwischen. Mit Galgenhumor und in der Hoffnung, dass das schon für irgendwas gut sein wird, machen sich über 20 Erwachsene nun wochenlang zum Affen. Aber schon bald machen wir Fortschritte, wenn auch anfangs nur auf eher niedrigem Niveau. Den Nachbarn blieben meine Montags-Zirkel auf der Terrasse nicht verborgen, und nun kommen auch noch merkwürdige Geräusche & Flüche vom fast täglichen Bauchmuskeltraining hinzu.
Andererseits staunen Nachbarn (und entgegenkommende Spaziergänger im Wald) nicht schlecht, wenn ich nun mit meinem kürzlich erworbenen Trinkflaschen-Rucksack laufen gehe. Das macht offenbar einen sehr professionellen Eindruck, quasi nun Profi-Läufer statt Freizeitjogger. Ego-Boost für wenig Geld, ein klarer Kauf-Tipp!
Inzwischen: sind alle Marathonläufe abgesagt, aber das Trainer-Team plant nun für uns im kleinen Kreis ein Abschlussrennen (10/ 21/42km), und zieht den Trainingsplan unbeirrt fort. Neu im Programm sind Sprints, Stadionrunden, Intervalltraining und schließlich ein 35km-Lauf auf den Fremersberg und zurück. Als Gegenleistung für den Getränkeservice auf dem Gipfel, sind bei km 29 mitten im Wald plötzlich Liegestützen und Dips fällig. Da können wir nur noch müde lächeln, inzwischen schockt uns sowieso nichts mehr bei Trainer Klaas, der hinsichtlich Charme, Schlagfertigkeit, Unterhaltungswert, breitem Grinsen und Motivationswirkung dem Welttrainer Klopp wirklich in Nichts nachsteht.
Die Woche: vor dem Wettkampftag ist Faulenzen und Kraft sammeln angesagt (Läufersprache: Tapering), und wir treffen uns Donnerstag zur Wettkampfvorbesprechung. Hinsichtlich Rennstrategie gibt es wenig zu besprechen, denn unsere Dreiergruppe (Ziel Marathon 3:30 Stunden) wird mit Knut und Christian gleich von zwei Zugläufern angeführt werden. Somit können wir uns voll und ganz aufs Laufen konzentrieren, mehr gibt’s für 5 Euro Startgeld definitiv nirgends auf dieser Welt 😉
Samstag 26. September: Tag der Wahrheit. Ausgerechnet heute Wintereinbruch in Süddeutschland: 7 Grad, bibber, dazu Nieselregen. Egal, jetzt hält uns nichts mehr auf. Co-Trainer Achim hat früh morgens schon die Zeitmessmaschine aufgebaut, und weitere freiwillige Helfer betreuen 2 Verpflegungsstationen, sodass wir alle 5 km auf Wasser und Energy-Gels zur Verfügung haben. Organisation vom Feinsten. 4 Runden a 10,55 km stehen an, auf der Strecke des Silvesterlaufes bei der Laufwelt Wintersdorf, los geht’s. Knut und Christian führen uns präzise wie ein Schweizer Uhrwerk durch Wald und Wiesen. Dranbleiben und Windschatten laufen heißt die Devise, denn sich alleine kilometerlang durchkämpfen würde sicherlich schwierig bei diesem Wetter mit dem böigen Wind. Aber ich merke schnell, dass ich einen sehr guten Tag erwischt habe, und nach 42,2km im Windschatten von Christian und Knut bleibt die Uhr schließlich bei 3:27 Stunden stehen, ich bin am Ziel meiner Träume.
Oktober bis Dezember: stehen viel Läufe mit meinen neu gewonnen Lauffreunden auf dem Programm, und natürlich montags das Zirkeltraining@Home, wo uns Achim mit den Bauchmuskelübungen 13-18 (Fahrrad, Klappmesser & Korkenzieher!) schockt bzw. beglückt.
Mit einer virtuellen Weihnachtsfeier, einem selektiven Marathon mit Knut und einem Silvesterlauf mit Christian geht dieses wunderbare Laufjahr nun zu Ende, und ich möchte mich bei allen Lauffreunden, Trainern, und sonstigen Helfern bedanken für die vielen schönen Erlebnisse und neuen Erfahrungen. See you in 2021.
Stefan Seibold, am 31. Dezember 2020
P.S: Für Lauf-Interessierte, die zum ersten Mal an einem Lauf Kurs von Klaas teilnehmen wollen, hier noch eine gute Nachricht: Marathon kann auch ohne jegliches Talent beim Schuhplattler innen/innen/außen/innen/außen gelingen